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Fritz Wotruba und die Sammlung Kamm

Dialog mit der Moderne

May 17–Sep 6, 1998
@Kunsthaus Zug

Die Veröffentlichung der Sammiung Kamm überrascht und ist von weitreichender Bedeutung, handelt es sich dabei doch wohl um die wichtigste, in ihrem Umfang bisher völlig unbekannte Kollektion der Wiener Moderne ausserhalb Österreichs. Sie enthält hervorragende Werkgruppen u.a, von Gustav Klimt, Josef Hoffmann, Richard Gerstl, Oskar Kokoschka, Egon Schiele, Alfred Kubin sowie zahlreiche Objekte der Wiener Werkstätte.

Für einmal war nicht Paris der primäre Anziehungspunkt privaten Sammlerinteresses. Der in Zug wohnhafte Privatbankier Fritz Kamm orientierte sich, unterstützt von seiner Wiener Frau Editha, in den fünfziger und sechziger Jahren in die entgegengesetzte Richtung nach Wien, das damals zerstört und unter alliierter Besatzung isoliert am östlichen Rand Westeuropas lag. In diesem kulturellen Vakuum formierte sich die singuläre Sammlung Kamm, lange bevor man die Wiener Moderne entdeckte und in monumentalen Ausstellungen weltweit zeigte.

Kamms ungewöhnlich frühe Hinwendung zur Kunst dieser Stadt - zumal von Zug aus - ist die Folge einer besonderen Freundschaft mit dem österreichischen Bildhauer Fritz Wotruba. Dieser hatte sein Kunstinteresse geweckt und als Berater fungiert. Nach dem Tod des Vaters kümmerten sich die Nachkommen Christa und Peter Kamm um die Bestände. Bis heute hielten sie sie durch Arrondieren und Erweitern lebendig. Gewichtigste und sinnvolle Ergänzung ist der Nachlass Josef Hoffmann und zahlreiche Objekte der Wiener Werkstätte (und ihres Umfeldes) durch den Zuger Architekten Peter Kamm und seine Frau, die Kunsthistorikerin Christine Kamm- Kyburz.

Fritz Kamm und Wotruba erwarben jedoch nicht nur Kunst aus Österreich, sondern gezielt auch as Frankreich und Deutschland: Kubismus, Expressionismus und Bauhaus sind die Hauptgebiete, darunter Werkgruppen von Fernand Léger, August Macke und Oskar Schlemmer, um nur einige Namen zu nennen. Zahlreiche, hochkarätige Arbeiten wurden als anonyme Leihgaben weltweit gezeigt, vor allem Gemälde von Klimt, Gerstl und Schiele, doch ist nun erstmals im Zusammenhang zu sehen, was Fachleuten bisher nur bruchstückhaft bekannt war. Bei einigen Arbeiten von Hoffmann, Kokoschka, Schiele, Kubin und Kirchner handelt es sich um Neuentdeckungen.

Die Sammlung ist bedeutsam auch aufgrund des Konzeptes, das ihr Wotruba unterlegte. Es geht weitgehend auf die pionierhafte Ausstellungstätigkeit der namhaften Wiener Galerie zurück, als deren künstlerischer Leiter Wotruba von 1953 bis Anfang 1965 amtete. Ihr in Wien bald legendärer, weil weitgehend unbekannter Inhaber war Fritz Kamm. Die Zuger Kollektion kam als Folge dieser Aktivitäten nach und nach zustande. Da Kamm Wotruba bei der Programmwahl freie Hand liess und bei Ankäufen von ihm beraten wurde, kann man sie durchaus als Künstlersammlung bezeichnen.

Alles hatte in Zug seinen Anfang genommen. Dorthin kamen der Sozialist Wotruba und seine jüdische Frau Marian 1939 af Vermittlung des damaligen Zuger Bundesrates Philipp Etter ins Exil. In der Schweiz nahm der Bildhauer an Museumsausstellungen teil, lernte viele Intellektuelle und Künstler kennen, konnte arbeiten und fand Mäzene. An erster Stelle erwähnte Wotruba später rückblickend Fritz und Editha Kamm, die zu engen Freunden wurden. Die Zuger Provinz profitierte vom Gast. Er wurde zum Vorbild der ersten, sich selbstbewusst und unabhängig gebärdenden Künstlergeneration. Mit ihren Vertretern stellte er wiederholt in Zug aus. Ende 1945 erfolgte der Ruf an die Akademie der Bildenden Künste in Wien. Wotruba kehrte zurück und begann sich sogleich für den kulturellen Wiederaufbau der "verwundeten" Stadt zu engagieren. 1953 bot sich die Gelegenheit, die namhafte Galerie Würthle zu erwerben, und Wotruba konnte Kamm von der wenig lukrativen Idee überzeugen. Die Galerie sollte eine Plattform für den Dialog der Moderne - der österreichischen und europäischen - werden. Die Wichtigsten Strömungen wurden vorgestellt und jüngere Künstler hatten die Möglichkeit auszustellen. Bald war die Würthle wieder wie vor dem Krieg die erste Adresse der Stadt und gab mit pionierhaften Projekten wichtige Impulse.

Das Präsentationskonzept der Sammlung Kamm orientiert sich an Wotrubas Gedanken eines kulturellen Austauschs, indem sein Werk räumlich zwischen der Wiener Moderne im Südtrakt und der deutschen und französischen im Nordtrakt gezeigt wird. Nach Zug kehrte Wotruba immer wieder zurück, um Kamms zu treffen. In den siebziger Jahren begann sich die Zuger Kunstgesellschaft mit Rainer Peikert, dem neu gewählten Präsidenten, Christa Kamm und Künstlerfreunden der Kriegszeit für den Bildhauer zu interessieren. Man zeigte ihn im Theater im Burgbachkeller (da man noch kein eigenes Haus hatte), gedachte seiner nach dem Tod und konnte erste Werke in die Sammlung aufnehmen, auch dank Unterstützung der Witwe Lucy Wotruba. Zusätzlich erwarb der Kanton mehrere Skulpturen.

Mit den neuen Räumlichkeiten hatte man ab 1990 andere Bedingungen geschaffen: neue Werke kamen in die Sammlung, vor allem auch wichtige Dauerleihgaben aus dem Wiener Nachlass Wotrubas; 1992 fand seine erste postume Retrospektive im Kunsthaus Zug statt, die nationale und internationale Beachtung fand usw. Mit der Gründung der Stiftung Sammlung Kamm und ihrer Beheimatung im Kunsthaus Zug schliesst sich in Kreis: "Die Ausstellung, die weder von Fritz und Editha Kamm noch von uns jemals geplant war, hat bei uns die Idee und den Wunsch aufkommen lassen, die von den Elter begründete und von uns weitergeführte und ausgebaute Sammlung im Wesentlichen zu erhalten, in eine Stiftung einzubringen und im Kunsthaus Zug der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Denn wir glauben, es sei in Zug - und auch dank Zug - etwas entstanden, das zu Zug gehören soll. Die durch unsere Stiftung bereicherte Sammlung des Kunsthauses wird der Zuger Öffentlichkeit die vertiefte Auseinandersetzung mit Kunst ermöglichen und damit in Fenster zur Welt auch auf kultureller Ebene öffnen" (Christa Kamm, Christine Kamm-Kyburz und Peter Kamm).

In die Stiftung Sammlung Kamm - sie wird in den nächsten Wochen beurkundet sein - gelangen 430 Werke; das Stiftungsvermögen beläuft sich auf rund 70 Millionen Franken. Die Stiftungsgründung ist in Meilenstein in der kulturellen Entwicklung des Kantons. Die erstmalige Präsentation erfolgt im Rahmen des vom Schweizerischen Kunstvereins initiierten Projekts Die Kunst zu sammeln. Schweizer Kunstsammlungen seit 1848, an dem sich as Anlass des Jubiläums 150 Jahre Schweizer Bundesstaat zehn Museen beteiligen. Die Absicht, einmal die Bedeutung private Sammelns für die Entstehung öffentlicher Kollektionen hervorzuheben, wird mit der Gründung der Stiftung Sammlung Kamm eindrücklich belegt. Für die Region ist sie von unschätzbarem Wert - und eine Verpflichtung. Man kann den Stiftern für ihre grosszügige und weitsichtige Haltung nicht genug danken. Wohl an keinem Ort ausserhalb Österreichs wird die Wiener Moderne so qualitätvoll, facettenreich und gleichwohl konzentriert zu sehen sein, wie in Zug.

Kuratiert von

Matthias Haldemann

Die Ausstellung wird grosszügig unterstützt von:

Bundesamt für Kultur Credit Suisse Private Banking