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The Ship of Tolerance – Ilya & Emilia Kabakov

@Kunsthaus Zug

Sep 10–Oct 13, 2016
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Ein Teilhabe-Projekt im öffentlichen Raum

Das Künstlerpaar Ilya & Emilia Kabakov ist in Zug nicht unbekannt. Schon mehrere Ausstellungen haben sie im Kunsthaus realisiert und seit 2003 steht vor dem Bahnhof die Skulptur „Drinking Fountain“. 2016 realisierte das Kunsthaus Zug das Teilhabe-Projekt «The Ship of Tolerance». Die Grundidee des Projekts war, ein hölzernes Schiff für den Zugersee zu bauen, das mit rund 120 von Teilnehmenden bemalten Segelbildern zum Thema Toleranz beflaggt wird. Es soll als Sinnbild der Toleranz Klein und Gross zum Diskutieren und Zuhören anregen, verschiedene Kulturen zusammenbringen und erdumspannend verschiedene Länder und Kontinente, wo «The Ship of Tolerance» vorher bereits realisiert wurde, miteinander verbinden.

Jede:r sollte mitmachen dürfen. Niemand wurde vom Teilhabe-Projekt ausgeschlossen. Das war eine Herausforderung! Die Kunstvermittlung lud alle Schulen aus dem Kanton für die Teilhabe ein. Zuger und private Schulen, von Kindergarten über Primarschulen bis in die Oberstufe, Lehrlinge und Deutschkurse sowie Klassen mit sehbehinderten Kindern – insgesamt waren es schliesslich 117 Klassen mit rund 2000 Schüler:innen und über 50 Helfende aus unterschiedlichsten sozialen Zusammenhängen.

Im März ging es dann los: Während 6 Veranstaltungen führten wir die Lehrpersonen in das Projekt ein. Sie lernten die Arbeiten von Ilya & Emilia Kabakov kennen und den Stellenwert des Projektes innerhalb ihres Schaffens. Gemeinsam diskutierten wir über Toleranz. Was bedeutet Toleranz für mich? Was kann man für mehr Toleranz tun? Gibt es Grenzen der Toleranz? Eine allgemeingültige Definition zu finden, war schwierig. Im Unterricht beschäftigten sich die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen mit dem Thema, wofür die Kunstvermittlung den Lehrpersonen ein Dossier mit Unterrichtsmaterialien zusammenstellte und zur Verfügung stellte. Lehrpersonen berichteten von berührenden Geschichten, die sie durch das Thema im Unterricht zwischen den Schüler:innen erlebten. Es entstanden Projektwochen oder sogar Toleranzfeste, bisweilen wurden die Familien einbezogen. Sogar auf dem Spielplatz wurde Toleranz zum Thema gemacht. In dieser Zeit der Auseinandersetzung entwickelten die Teilnehmenden ihre eigenen visualisierten Botschaften.

Dann war es so weit. Während des ganzen Monats Juni empfing ein inzwischen auf 10 Kunstvermittlerinnen angewachsenes Team täglich 60 bis 100 Kinder, Jugendliche und Erwachsene in der Shedhalle. Alles war vorbereitet: Die weissen von arbeitssuchenden Frauen der Halle 44 genähten Segeltücher auf dem Boden geklebt, die Paletten gefüllt mit Acrylfarben, die Pinsel bereitgestellt. Als Auftakt sprach Emilia via Videobotschaft zu uns: „Es ist sehr wichtig zu verstehen, dass Gewalt nichts verändert, sondern die Welt nur zerstört. Deshalb möchten wir euch eine sehr starke Botschaft an die Erwachsenen unserer Welt senden lassen […] Bitte respektiert euch gegenseitig. Versteht, dass Kultur, Sprache, Musik, Zeichnungen wichtiger sind als Gewalt. Damit verändert ihr die Welt, so könnt ihr sie besser machen. […]“ Spontan wurde immer wieder geklatscht.

Die Vermittlerinnen erzählten über das Leben des Künstlerpaares in der ehemaligen Sowjetunion und zeigten Arbeiten von Ilya, die er als inoffizieller Künstler heimlich machen musste, da es ihm nicht erlaubt wurde offiziell zu malen – für viele Kinder unvorstellbar. Berührend war, wenn Migrat:innen den Schweizer Kindern erzählten, dass sie solche Erfahrungen der Intoleranz und Freiheitseinschränkung selbst erlebt hatten. Der Gross und Klein aus unterschiedlichen Gemeinden tauschten im Dialog miteinander ihre Erfahrungen und Sichtweisen zum Thema aus. Eine Schülerin meinte: «Toleranz bedeutet, dass man Frieden hat, in dem was man macht, die Freiheit besitzt und das man das Recht hat sagen zu dürfen, was man möchte!» Berührend war, als Kinder und Jugendliche Beispiele aus der aktuellen Politik nennen konnten, in denen Erwachsene intolerant agierten. Oder als Asylsuchende darüber berichteten, dass sie wie Ilya & Emilia Kabakov aus einem Land kommen, in der Toleranz und Meinungsfreiheit nicht so selbstverständlich ist wie in der Schweiz und sie bedroht an Leib und Leben waren.

Die Atmosphäre während des Malens war jedes Mal unvergesslich: konzentriert, respektvoll und engagiert setzten sie zu zweit malend auf dem Boden ihre Toleranz-Botschaften mit Farbe und Pinsel um. Es entstanden insgesamt rund 1000 beeindruckende Segelbilder, die sorgfältig fotografiert und katalogisiert werden mussten. „Es war schön, ein so grosses Bild zu malen und spannend zu sehen, was für andere Toleranz bedeutet. Es war ein tolles Erlebnis“, sagte ein Kind hinterher.

Das Thema breitete sich in alle Richtungen aus. Immer weitere Gruppen nahmen an dem Projekt teil: Familien, Kinder vom Ferienpass, Lernende der zuwebe oder Betagte im Dialog mit jugendlichen Migranten und ein Frauenbund. Informatik-Lehrlinge der GIBZ entwickelten die Homepage zum Projekt, Schreiner-Lehrlinge halfen beim Schiffbau im August. Zahlreiche Institutionen schlossen sich dem Projekt an, es fanden sich über 50 Sponsoren und Kooperationspartner.

Der Eröffnungstag im September bleibt unvergesslich, als endlich bei schönstem Wetter das bunte Segel mit den Toleranzbotschaften vor staunenden Augen gehisst wurde. In zahlreichen weiteren Installationen in der Stadt dem Seeufer entlang, über Plätze, an Fahnenmasten, am und im Kunsthaus etc. sowie in einzelnen Gemeinden im Kanton luden weitere Segelbilder die Bevölkerung zur Auseinandersetzung ein. Kinder suchten mit ihren Familien ihre gemalten Botschaften. Überall wurde fotografiert, diskutiert oder einfach nur geguckt und sich ob der Farbenpracht erfreut. Es war ein Fest der Toleranz. Kinder verkauften runde Ship-of-Tolerance-Buttons als Zeichen der Teilhabe und für alle mitwirkenden Kinder gab es Kuchen.

Auch nach dem Eröffnungstag waren die Kunstvermittlerinnen im öffentlichen Raum aktiv und machten ihre Arbeit sichtbar: Bis in den Oktober stand das Kunsthaus Zug mobil am See, wo man sich über das Projekt informieren, über Toleranz diskutieren und weitere Botschaften malen oder aufschreiben konnte. Im Oktober hatte das Schiff dann einen Sonderplatz an der Zuger Messe und erreichte wiederum ein grosses Publikum, das erstmals auch das Schiff begehen konnte.

Wir bekamen zahlreiche Rückmeldungen, Mails und Briefe. Das Projekt hat die Menschen bewegt: „Seit Ship of Tolerance bin ich toleranter zu Kollegen, Familie und Verwandten. Und ich habe es verstanden, wenn man andere mehr toleriert, wird man selber mehr toleriert“ meinte ein 5. Klässler. Das Teilhabe-Projekt des Künstlerprojektes strahlte weit über die Stadt hinaus, in den sozialen Medien erreichten Bilder weit über eine Million Klicks aus der ganzen Welt. Das Kunsthaus Zug wurde zu einem sozialen Akteur im öffentlichen Raum.

Abbildungen mit Werken folgender Kunstschaffenden:

Ilya & Emilia Kabakov