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Pavel Pepperstein

Pavel Pepperstein (*1966) ist als bildender Künstler und Autor eine der Hauptfiguren der Moskauer Kunstszene. Im Rahmen von Projekt Sammlung lud er zwischen 1998 und 2002 unbekannte und bekannte Gäste seiner Heimat zu künstlerischen Kooperationen nach Zug ein. Ausserdem brillierte er mit vielfältigen Wandmalereien, die spontan entstanden und am Ende jeder Ausstellung wieder weiss übermalt wurden – die Vergänglichkeit gehört zu seinem Sammlungsprojekt wesentlich dazu. Seine Wandzeichnungen an verschiedenen öffentlichen Orten in Zug blieben hingegen erhalten.

Während des gesamten Projekts entstanden Wandzeichnungen in den Büroräumlichkeiten des Kunsthauses, und als Schenkungen des Kunsthauses in der Filiale der ehemaligen Credit Suisse (nicht erhalten) sowie in der Kantonalen Strafanstalt in Zug. In der Gemeinde Menzingen bemalte Pepperstein die Wände des Schulhauses Ochsenmatt mit imaginären Landschaften. Auf Anfrage können diese Werke besichtigt werden. Einige wenige Wandzeichnungen blieben auch im Kunsthaus bestehen. Ausserdem liess der Künstler einen bemalten Stein, den der Bildhauer Peter Kamm für ihn bearbeitet hatte, im Innenhof des Kunsthauses als Erinnerung zurück. In der Sammlung befinden sich Entwürfe von Pepperstein, eine Videoinstallation von Boris Groys und der Foto-Essay von Guido Baselgia, der das Langzeitprojekt mit der Kamera begleitete. Aus dem Projekt ging die enge Kooperation mit Ilya und Emilia Kabakov hervor. 2017 fand die Ausstellung Pavel Peppersteins «Die Auferstehung Pablo Picassos im Jahre 3111» statt.

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INSPECTION “MEDICAL HERMENEUTICS”. Binokel und Monokel – Leben und Werke

Projekt Sammlung (1)

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1997 vergab die Dialog-Werkstatt Zug, ein Zusammenschluss verschiedener kultureller Institutionen von Zug, das erste Übersetzerstipendium an Gabriele Leupold, Berlin. Die Preisträgerin übersetzte Andrj Belyjs Roman Petersburg aus dem Russischen. Verschiedene Veranstalter führten aus diesem Anlass kulturelle Begleitveranstaltungen durch. Das Kunsthaus Zug zeigte Werke der Moskauer Künstlergruppe Inspection “Medical Hermeneutics”. Ihre Mitglieder waren zugleich Autoren und beschäftigten sich intensiv mit dem Thema Wort und Bild. Die Zuger Ausstellung und der dazu erschienene Katalog trugen den Titel Binokel und Monokel - Leben und Werke und bezogen sich auf den gleichnamigen Roman zweier Gruppenmitglieder, der im Suhrkamp Verlag erschienen ist. Mit grossen Wandzeichnungen, Objekten und Fotos hatte die Gruppe das gesamte Kunsthaus in einen “Roman” voller Irritation, Humor und Hintersinn verwandelt.

Inspection “Medical Hermeneutics” gehörte zum Kreis der Moskauer Konzeptualisten und bestand von 1987 bis 2001. Mit zahlreichen Ausstellungen wurde die Gruppe international bekannt und ihre Mitglieder zählten zu den wichtigsten jüngeren Künstlern Russlands. Die Gruppe nahm ihre Aktivitäten unter den schwierigen kulturellen Bedingungen der Sowjetunion auf und bildete mit den anderen Konzeptualisten eine Art subversive Familie genannt NOMA (zu ihr gehörten auch Ilya Kabakov und Boris Groys). Der Zirkel war eine Gesprächsgemeinschaft, die ihre Freiheit aus dem unendlichen Dialog gewann. Auf ihn beziehen sich sämtliche Arbeiten (Texte, Zeichnungen, Kommentare, Installationen) der verschiedenen Künstler. Wer den “Slang” beherrschte und die Grundthemen von NOMA kannte, konnte auch zur Zuger Ausstellung zahlreiche Bezüge herstellen, doch liess sich nie eine endgültige Lösung des Rätselhaften finden. Die Fülle der Assoziationen hob sich letztlich wieder auf: Es kam zu einer sinn-vollen Leere. Die Distanz zu allen Motiven und Themen gab Raum zur Kontemplation und Reflexion.

Vater und Sohn. Victor Pivovarov und Pavel Pepperstein

Projekt Sammlung (2)

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Im Rahmen von Projekt Sammlung bestritt der Moskauer Pavel Pepperstein 1999 seine zweite Ausstellung in Zug, dieses Jahr gemeinsam mit seinem Vater Victor Pivovaro. Pepperstein ist eine Leitfigur im Kreis der jüngeren Moskauer Künstler und hat sich auch als Autor und Theoretiker einen Namen gemacht. Sein Vater gehört zu den Hauptvertretern der ersten inoffiziellen russischen Künstlergeneration, die in den 70er-Jahren aktiv wurde. Wie sein Freund Ilya Kabakov war er offiziell als Illustrator von Märchen- und Kinderbüchern tätig und wurde damit in seinem Land berühmt. Mit Kabakov entwickelte er in der Abgeschiedenheit ihrer Ateliers die Gattung Album, welche zur Grundlage des späteren sog. Moskauer Konzeptualismus werden sollte. Letzterer wurde von einer Art Familie von Künstlern, Autoren und Theoretikern verschiedener Generationen gebildet, welche bis Ende der 80er-Jahre ohne Publikum im Privaten aktiv waren und sich seither vor allem auch im Westen mit ungewöhnlichen Projekten bemerkbar machten. Die internationale Rezeption zeitgenössischer russischer Kunst wurde früh besonders von schweizerischer Seite gefördert, so durch den damaligen Botschafter Alfred Hohl in Moskau und den Staatssekretär Paul Jolles. Beide nahmen verbotenerweise erste Kontakte zu Künstlern auf, die dann zu Ausstellungen und Werkverkäufen im Westen führten. Pivovarov und Pepperstein gehören zu ihren engen Freunden.

Pivovarov zog 1982 nach Prag, wo er heute lebt. Im Westen war sein Werk lange nicht zu sehen und die Ausstellung in Zug war sein erster Schweizer Auftritt. Erstmals bestritt er auch eine Schau mit seinem Sohn. Im Zentrum stand dabei Pivovarovs Werkgruppe Bücher alter Männer mit fünf Porträts seiner Wahlväter (er wuchs ohne eigenen Vater auf) und einer Serie illustrationsartiger Bilder, die an Kinderbücher erinnerten. Pepperstein reagierte mit seinen Wandmalereien auf die Vorgaben des Vaters und gab gewissermassen seine Kommentare dazu ab. Es entstand eine wohl einmalige und vielschichtige Ausstellung, die ein Werk für sich darstellte.

MOZES. Die Künstlergruppe “Russia” und Pavel Pepperstein

Projekt Sammlung (3)

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Bereits zum dritten Mal gastierte der Moskauer Künstler und Autor Pavel Pepperstein im Rahmen von Projekt Sammlung in Zug. 2000 lud er die Gruppe Russia aus Moskau zu einer Kooperation ein. Ihr gehören die Maler Ivan und Egor Dmitriev, Ludmilla Blok und Dmitri Loukanin an, die sich mit ihren Arbeiten erstmals in der Schweiz vorstellten. Der Einfluss Peppersteins und seiner Gruppen Inspection “Medical Hermeneutics” auf die russische Kunst der 90er-Jahre war Thema einer grossen Schau in Paris (Ecole nationale supérieure des beaux-arts).

Mit dem ungewöhnlichen Titel der Zuger Ausstellung, MOZES, assoziiert man schnell das erste Gebot der Gesetzestafeln (die Moses von Gott auf dem Berg Sinai erhielt): “Du sollst dir kein Bild machen…” Eine Kunstausstellung mit der Überschrift “Mozes” erscheint somit als eklatanter Widerspruch. Für die Kulturgeschichte in Ost und West war das Bilderverbot bekanntlich äusserst folgenschwer (byzantinischer Bilderstreit und Bildersturm in der Reformation). Jenseits historischer Bezüge lenkt der Titel der Zuger Ausstellung jedoch auf die Frage nach der Bildlichkeit. Was ist ein Bild? Gerade die pseudorealistischen Malereien der Gruppe Russia (Landschaften, Stillleben, Figurenbilder) scheinen das Gebot sträflich zu missachten. Oder gibt es ein Bild jenseits des Bildes, einen bildimmanenten Ikonoklasmus gewissermassen? Für Pepperstein war MOZES Anlass zu ersten abstrakten Malereien, die er mit den von ihm ausgewählten Werken von Russia konfrontierte. Hinzu kamen eine Reihe von goldenen Kleinobjekten nach Entwürfen Peppersteins. Das Projekt hatte einen zweiten Teil: Mit dem St. Petersburger Philosophen und Psychoanalytiker Viktor Mazin führte Pepperstein ausgedehnte Dialoge über Moses. Ein deutscher Essay erschien vorab zur Zuger Ausstellung: Sheriff Moses. Ausgangspunkt der geistreich-witzigen Gespräche war Freuds berühmte Interpretation von Michelangelos Moses-Skulptur – Hermeneutik als künstlerische Praxis.

Erfreulicherweise konnte Pavel Pepperstein im Sommer 2000 im Auftrag der Gemeinde Menzingen das Schulhaus Ochsenmatt 1 mit rund 30 Wandmalereien versehen - mentale Landschaften, die den Gang durch das Gebäude (von der Toilette bis zum Lehrerzimmer) zu einer virtuellen Reise um die Welt machen.

Ilya Kabakov, Boris Groys, Pavel Pepperstein. Die Ausstellung eines Gesprächs

Projekt Sammlung (4)

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Seit 1998 bestritt der Moskauer Künstler und Autor Pavel Pepperstein im Rahmen von Projekt Sammlung Ausstellungen mit Künstler:innen-Gästen aus Russland. Das Kunsthaus Zug wurde so zu einem europäischen Treffpunkt für russische Künstler und weckte in weiteren Kreisen ein Interesse für deren Tätigkeit.

Im Zusammenhang des Moskauer Konzeptualismus der 1980er-Jahre spielte das Gespräch eine zentrale Rolle und wurde zu einer Kunstform entwickelt. Der endlose Diskurs unter Künstlerfreunden wurde unter neuen Bedingungen verbal, literarisch und bildkünstlerisch fortgesetzt. In Zug trafen sich dazu Ilya Kabakov (New York), Boris Groys (Wien) und Pavel Pepperstein (Moskau). Der 2023 verstorbene Ilya Kabakov avancierte seit seiner Emigration in die USA Ende der 1980er-Jahre zu einem der weltbekanntesten Künstler und Boris Groys ist einer der namhaftesten Kunsttheoretiker und Kunstkritiker, war Rektor der Wiener Kunstakademie und Professor am Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, seit 2005 lehrt er an der Universität in New York.

Die drei, die seit Jahrzehnten eine enge Freundschaft verband, traten in Zug erstmals als Künstler-Trio auf. Sie konzipierten exklusiv für Zug eine Installation, die das gesamte Kunsthaus umfasste. Das im Museum ausgestellte Gespräch – ein Paradoxon – konnte als Metapher für das in der Gesellschaft nicht wirklich stattfindende Gespräch verstanden werden. Dabei ging es um Fragen wie die Rolle des Künstlers heute, seine Beziehung zum Museum und zur Gesellschaft, die Definition von Kommunikation, die Rolle der neuen Medien usw. Der an sich sekundäre Diskurs transformierte sich in ein primäres, künstlerisches Ausstellungsobjekt, das von Ilya Kabakov sowie von Wandzeichnungen Peppersteins «illustriert» wurde. Die von Boris Groys konzipierte Videoinstallation wurde vom Kunsthaus Zug für die Kabakov-Sammlung erworben.

Es erschien ein umfangreiches Textheft mit dem Gespräch von Boris Groys, Ilya Kabakov und Pavel Pepperstein («Zuger Gespräch», 2001), übersetzt von Gabriele Leupold, Berlin, erste Preisträgerin des Zuger Übersetzerstipendiums.

Über dieses Langzeitprojekt erschien 2004 die Publikation «Pavel Pepperstein und Gäste» im Hatje Cantz Verlag. Darin enthalten ist ein Foto-Essay des Schweizer Fotografen Guido Baselgia, welcher das insgesamt über fünf Jahre dauernde Projekt dokumentierte.

Traum und Museum. Pavel Pepperstein

Projekt Sammlung (5)

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Zum fünften und letzten Mal trat der Russe Pavel Pepperstein (Moskau) im Rahmen von Projekt Sammlung in Zug auf. Im vergangenen Jahr reflektierte er mit seinen Gästen Boris Groys und Ilya Kabakov in Ausstellung eines Gesprächs auch die Institution Museum. Diese wurde als Ort der Kommunikation gezeigt. Im Jahr darauf setzte Pepperstein den Diskurs unter dem Titel Traum und Museum fort. Er setzte sich dabei mit der Kunsthaus-Sammlung auseinander und inszenierte sie im Zusammenspiel mit eigenen Wandmalereien. Ein plausibler Abschluss seines eigenen Sammlungsprojekts.

Das Museum steht im Dienst der kollektiven Erinnerung. Die Wiederholung ist dafür kennzeichnend. Der Museumsbesuch ist wie ein Ritual, bei dem man Bekanntem wieder begegnet und vielleicht einen neuen Zugang dazu findet. Träume dagegen sind immer subjektiv und unkontrollierbar. Sie verändern die Erinnerungen, interpretieren sie neu. Ein Vorgang, der sich weder steuern lässt noch wirklich kommunizierbar ist. Traum und Museum bilden für Pepperstein folglich einen Gegensatz.

Was bleibt nach Ende der Zusammenarbeit mit dem Künstler in der Kunsthaus-Sammlung zurück? Peppersteins grandiose Wandmalereien mussten bekanntlich nach jeder Ausstellung wieder überstrichen werden - ein musealer Ikonoklasmus gewissermassen. Bewusst verzichteten wir auf erhaltbare Werke des Künstlers. Stattdessen schuf er in unserem Auftrag zahlreiche Wandmalereien in der neuen Kantonalen Strafanstalt von Zug. Zum Dank für die mehrmalige finanzielle Unterstützung seines Projekts durch die Crédit Suisse Private Banking, Zug, entstand auch dort ein Wandbild (nicht erhalten) - gleichsam ein “Responosoring” durch das Museum. Für einmal erbrachte das Museum für den Sponsor eine wirklich quantifizierbare Gegenleistung! Die beiden Orte bildeten gemeinsam mit der Schule Ochsenmatt in Menzingen, wo der Künstler vor zwei Jahren im Auftrag der Gemeinde bereits Wandmalereien realisierte, ein kleines Netzwerk: Schule, Bank und Gefängnis sind bekanntlich auch häufig genannte Attribute des Museums.